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artline Kunstmagazin – Piotr Iwicki | INTERVIEW

 

Herr Iwicki, Sie bearbeiten Ihre Bilder nicht mit Zeichenstift oder Pinsel, sondern generieren sie am Computer. Wie muss man sich das vorstellen? Arbeiten Sie überwiegend mit diversen Zeichenprogrammen oder fertigen Sie mithilfe des Computers digitale Collagen?

Im Prinzip beides. Das heißt, ich erzeuge Bilder mit meiner Digitalkamera oder generiere sie mit Hilfe der Computerprogramme wie beispielsweise Bryce und setze sie dann in Photoshop zu Collagen zusammen. Auch Zeichen- und sogar Layoutprogramme verwende ich – alles was mich zum Ziel führt.

Hingegen benutze ich keine Malprogramme, die mit ihrem Endergebnis ein gemaltes Bild simulieren, sondern verwende das, was sozusagen die Maschine auszeichnet und bereitstellt, und interpoliere das Material für meine Arbeit.

 

Bei der ersten Ausstellung der Freiburger Künstlerwerkstatt in ihrem neuen Domizil Kunsthaus L6 erregten Ihre Arbeiten besondere Aufmerksamkeit, weil sie nicht nur digitale Herstellungs- und Druckverfahren in die traditionelle Druckerwerkstatt einbringen, sondern sich auch inhaltlich und formal mit der virtuellen Bildfläche auseinandersetzen. Das heißt, sie reflektieren die digitale Bilderwelt mit digitalen Mitteln. Welche Thematiken oder Sujets reflektieren Sie dabei, und fühlen Sie sich in einer Druckerwerkstatt überhaupt zuhause?

Ob ich mich in einer Druckerwerkstatt zuhause fühle, ist eine andere Frage, da ich mich in meiner künstlerischen Arbeit ausschließlich der Maschine Computer bediene. Einer Maschine, die das Leben „nach Außen“ enorm beschleunigt, jedoch unser Agieren „nach Innen“ gleichzeitig verlangsamt hat. Wir verlassen uns immer mehr auf sie. Wie viele können beispielsweise noch mit Leichtigkeit im Kopf rechnen, wer kann noch Schönschreiben? Werden die Angaben zur meiner Person mich schützen oder zerstören? Wird mir die Maschine helfen die „geistige Materie“ zu vertiefen oder eher zu verflachen? Man sieht: die letzte Entscheidung liegt immer bei uns selbst. Und genau auf dieses ambivalente Verhältnis kommt es mir in meiner Arbeit an. Es sind Themen, die unsere Gesellschaft neu definieren, wie z.B. Biometrie und Sicherheit, Überwachungssysteme und Öffentlichkeit, Gentechnik und die Schattenseiten unserer Werte­vorstellung, Gamesucht als die innere Immigration und der Ausschluss aus dem sozialen Leben. Alles Themen, die mit dem Computer zu tun haben, und die uns alle direkt oder indirekt betreffen. Es entsteht hier ein Online-Universum – die irreale Möglichkeit des „virtuellen Lebens“ und die Unmöglichkeit das reale Leben zu leben.

 

Der Computer und unser Umgang damit liefert Ihnen also die Themen?

Ja, die Fragen nach dem Sinn und Unsinn sind so alt wie die Menschheit, aber die Maschine zwingt uns in ihrer Ambivalenz, vieles neu zuzuordnen. Ich lese kaum Romane, sondern meist philosophische und wissenschaftliche Bücher, um mir daraus bestimmte Themen zu erschließen. Auch Nachrichten, wissenschaftliche Erkenntnisse und vor allem das Leben selbst sind wichtige Gedankenträger, die mich in eine kreative Unruhe versetzen. Ich glaube, es ist wieder einmal an der Zeit, Botschaften zu senden – die Idee „l' art pour l' art“ hat inzwischen einen so hohen Abstrak­tionsgrad erreicht, dass sie letztendlich an dem tatsächlichen Leben leider vorbei ging. Es ist die Frage der Kommunikation innerhalb der Kunst und mit der Kunst selbst.

Solche Beobachtungen und Erfahrungen setze ich in meiner künstlerischen Tätigkeit um. Da ich konzeptuell arbeite, muss meine Arbeit am Ende einen Aspekt herausstellen, der mehr ist als nur eine einzelne Arbeit.

 

Was bedeutet, dass sich zeitgenössische soziologische, ästhetische oder wissenschaftliche Diskurse durch die Offenlegung bestimmter Darstellungsweisen oder Prozesse in ihre Arbeiten automatisch einschreiben und so z.B. Thesen von Baudrillard oder Virilio auf die Bildebene bringen.

So könnte man es nennen. Paul Virilio halten manche für einen Provokateur. Als Philosoph und Medienwissenschaftler spricht er über „die Kolonisierung des Körpers“ und zeigt auch deutlich das Negative des Fortschritts. Virilio befürchtet einen Schock in der menschlichen Realitäts- und Weltwahrnehmung, wenn die Beschleunigung und Globalisierung der Informationsflüsse und gesellschaftlichen Prozesse weiter zunehmen. Was meine künstlerische Gedanken prägt, ist Virilios Aussage: „Man muss das Undenkbare denken. Alles andere ist der Mühe nicht wert. Man muss dort denken, wo es nicht geht, wo man nicht denken kann.“

Im Mittelalter – und in manchen Ländern teilweise noch heute – findet aus religiösem Anlass die öffentliche Geißelung des Körpers statt. Für viele führt die Unerträglichkeit des Seins in der Gegenwart zur Flucht ins virtuelle Leben und zur visuellen Abhängigkeit. (Siehe plastische Chirurgie live am Bildschirm, Computerspiele oder die Soap-TV-Serien). Diese Abhängigkeit wird zu einer Ersatzreligion, weswegen ich persönlich von einer „medialen Art der Geißelung“ spreche.

Jean Baudrillard sagt, dass die Medienwirklichkeit des globalen Kapitalismus ihre Aussage immer mehr von Wahrheitskriterien trennt, und deutet damit die umfassende Manipulation als ein Ritual der „Verführung“ des Konsumenten. Und Konsumenten sind wir alle. Diese permanente Simulation von Realität ist es, was ich mit meiner Arbeit darzustellen versuche.

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